Es ist kalt auf Alcatraz, eisig kalt. Eine Kälte, die von einer gewaltigen Geräuschkulisse getragen wird und dennoch ist es still. Die Art Stille, die man hören kann.
Ein eisiger Wind pfeift durch die Gänge. Das Heulen und Fauchen, das durch die Fensterschlitze dringt, singt ein Lied der Einsamkeit und Tristesse.
An keinem Touristenort der Welt empfand ich die Stille, trotz vieler Menschen, so erdrückend, dass man davon hätte taub werden können.
Unzählige Geschichten über Alcatraz brachten mein Kopfkino, beim Durchschreiten der Zellentrakte, auf Touren.
Was aus der Ferne aussieht wie eine nette kleine Vogel-Insel, in der Bucht vor San Francisco, ist bei näherer Betrachtung ein vergessenes Stück Land – ein grausames Relikt aus alten Tagen, welches heroisch aus den ungezähmten Wellen des Pazifiks emporragt.
Alcatraz.
Schon bei dem Namen denkt man an Böses, an Brutalität, Gewalt und Grausamkeit.
Erstaunlich, denn Alcatraz heisst nichts anderes als Pelikan – Vogel, Fliegen, Freiheit.
Verrückt.
Ins Gefängnis um jeden Preis
Ich habe so gut wie jeden Bundesstaat und jede wichtige Stadt in den Vereinigten Staaten bereist.
Was mir noch fehlte, auf meiner Reiseliste und schon ein langersehnter Wunsch von mir war, Alcatraz zu besichtigen.
Bis dahin hat es mich nie nach San Francisco gezogen. Ich empfand die Stadt als genügend uninteressant, als dass ich mein geliebtes New York, Los Angeles und Miami den Rücken gekehrt hätte.
Einzig und allein um Alcatraz zu besichtigen, gab ich der Stadt im Kalifornischen Westen dann doch noch die Ehre.
Da ich zur Peak-Season dort war, kostete mich das Ticket (eigentlich nur die Überfahrt mit der Fähre, denn der Eintritt auf Alcatraz ist „kostenlos“) sage und schreibe $ 158.
Bucht man frühzeitig (was unbedingt zu empfehlen ist) oder hat man etwas Glück, gibt es die Fährtickets für reguläre $ 34.
Nun gut – gezahlt, gestöhnt, inhaftiert.
Ankommen auf Alcatraz
Trotz unzähliger Geschichten, die ich las oder Filme, die ich zu Alcatraz kannte, hatte ich keine Erwartungen an diesen Felsbrocken.
Sobald die Fähre anlegte entfernte ich mich von den (noch) lauten Touri-Massen und erkundete die Insel.
Sofort wird es ruhig um einen, während unterdessen die tosende Gischt drumherum eine wilde Melodie an die Felswände trommelt.
Alcatraz verschlang mich buchstäblich mit seiner unsichtbaren schwarzen Kralle, die sich ausbreitet und einen benebelt.
Ein Gefühl der Beklemmung, der Traurigkeit kommt in einem auf. Die Mystik einer schicksalhaften Legende zieht einen unweigerlich in seinen Bann.
Trotz dessen die Insel in rhythmischen Abständen von Touristenschwärmen überrannt wird, sind die Leute unglaublich leise, sprachlos und scheinbar nachdenklich.
Ich war verblüfft.
Sie catcht wohl jeden dort – die magische Stille von Alcatraz.
Unheimlich.
Durch grausame Gänge
Man kann auf Alcatraz so gut wie jedes kleine Nebengebäude, jeden Aussichtspunkt und natürlich das Haupthaus mit den Zellentrakten, die Bibliothek und den Speisesaal besichtigen.
Dort angekommen erreicht man zunächst den Wäschecounter, wo früher die Neuankömmlinge wohl ihr Outfit in Streifenmuster erhielten.
Schon damals wusste man, Querstreifen machen dick.
Vorbei geht es dann an den Duschen. Naja, zumindest was man damals unter Duschen verstand.
Angekommen im Zellentrakt, erhält man ein Headset und erfährt in unglaublich toller Erzählweise alles, was einem unter die Nägel brennt, um seine Neugierde an der Geschichte von Alcatraz zu stillen.
Die Zellengänge und das Gefängnis als Hauptattraktion, kamen mir recht klein und eng vor.
Der karge Anblick der Zellen liess grausame Geschehnisse erahnen, welche durch die Erzählungen auf Tonband nur noch untermauert wurden.
Guten Tag, Platzangst!
Knastalltag in Alcatraz
„Brichst du die Gesetzte, kommst du ins Gefängnis. Brichst du die Gesetze des Gefängnisses, kommst du nach Alcatraz“, so liest man in grossen Lettern beim Betreten des Haupthauses.
Alcatraz beherbergte knapp 30 Jahre lang die schlimmsten Verbrecher und Straftäter, Menschen die als nicht rehabilitierbar galten.
Von 1934 bis 1963 sassen rund 1.500 Verbrecher in Alcatraz ein, darunter Mörder und Schwerverbrecher wie Al Capone, der zwischen ’34 und ’39 auf der Gefängnisinsel einsass.
Die Haftbedingungen waren extrem hart, denn auf „America’s Devil Island“ herrschte eisige Stille, in jeglicher Hinsicht.
Die Häftlinge waren in kleinen, nur mit Waschbecken, Toilette und Bett ausgestatteten Zellen untergebracht und verbrachten 18 bis 23 Stunden des Tages darin, oft jahrelang.
Niemand durfte sich frei auf dem Gelände bewegen, es durfte nur am Arbeitsplatz und in der Kantine gesprochen werden, niemals jedoch mehr als sechs Minuten am Tag.
Die Häftlinge standen stets unter schwerer Bewachung. Ein beruhigendes Dunkel der Nacht gab es nicht.
Kein Kokon der einen umhüllte und in welchem man für einen Moment sein trostloses Schicksal vergessen konnte.
Das Licht brannte 24 Stunden. Briefe wurden gelesen und nur zensiert an die Insassen übergeben.
Wer nicht spurte, musste damit rechnen in den Dungeons (den Kerkern) in Isolationshaft genommen zu werden.
Dies bedeutete in Alcatraz jedoch nicht nur Einzelzelle, sondern kalte Kerker ohne Licht, Bett und sanitäre Anlagen.
Ich war in einer solchen Zelle. Fasziniert und dennoch angeekelt musste ich nach ein paar Schnappschüssen wieder raus.
Man stelle sich vor, dort Stunden, Tage gar Wochen verbringen zu müssen. Furchtbar.
Als Insasse dieser Nacktzelle musste man auf Kleidung verzichten und auf dem kalten und harten Boden schlafen.
Das und die Tatsache, dass Wärter die Häftlinge teilweise sogar misshandelt haben sollen, führte wohl dazu, dass harte und gefährliche Kerle mit der Zeit gebrochen wurden.
Nicht umsonst verpassten die Inhaftierten dem Gefängnis den Namen ‚Hellcatraz‘, denn das Knastregime galt als gnadenlos.
Psychischer Härtetest im Höllenknast
Jeder Winkel in diesem Höllenknast war beobachtet und kontrolliert.
Die Zellen waren offen und einsehbar, jedes Geräusch, jede Bewegung war den Ohren der anderen verpflichtet.
Am Ende der Zellenflure, oberhalb auf einer Art Galerie, stand der ‚Chief Master of Prison‘ mit seiner Gang und beobachtete alles.
Die einzigen Burschen unter den Wärtern, mit scharfem Waffengeschütz.
Dort oben hing auch der Generalschlüssel zu allen Türen. So nah und doch so fern, für jeden Häftling sichtbar, jedoch unerreichbar.
Es zog und pfiff aus allen Ecken, übrigens auch heute noch, obwohl das Gebäude jetzt natürlich zerfallen und verrottet ist.
Man kann sich nur zu gut ausmalen, wie ungemütlich es zur damaligen Zeit wohl gewesen sein muss.
Die Durchschnittstemperatur betrug ganzjährig etwa 12°C, Tag und Nacht.
Dagegen entsprechen die heutigen Gefängnisse womöglich dem Standard eines Luxus-Boutique-Hotels, was?
In den Duschanlagen, ständig beobachtet von Hinz und Kunz, erschien das Warmwasser zunächst als Wohltat.
Dies hatte allerdings nur ein Ziel: Die Häftlinge sollten nicht an kaltes Wasser gewöhnt werden.
So schmälerten sich die Chancen, bei einem Fluchtversuch im eiskalten Wasser, überleben zu können.
Der Speisesaal bot sprichwörtlich Knastessen! (Ein Helau auf alle Laktose Intoleranten, Glutenfreaks und Veganer, die es, oh Wunder, vor 60 Jahren noch gar nicht gab.)
Zudem hatte dieser Ort den Namen Gas chamber (Gaskammer) inne. Für den Fall einer Meuterei, hingen hier Kanister mit Tränengas von der Decke.
Lähmende Langeweile, totale Überwachung und die ständigen Zählappelle machten die einstigen harten Jungs regelrecht mürbe.
Als besondere Tortur mussten die Insassen den Alltagslärm empfunden haben, der durch die Fenster zu ihnen drang und von einem Leben da draussen erzählte.
An manchen Tagen konnte man das Gerede der Menschen vom Strand gegenüber hören.
Das Lachen der Mädchen, die Musik und all die Geräusche, die von der freien Welt hinüber wehten.
Ein psychischer Härtetest, dessen Auswirkungen sich über Jahre aufkumuliert haben mussten.
Schreitet man entlang den Gemäuern dieser Anlage erzählen die zerfallenen Wände ihre eigene grausame Geschichte.
Sie lesen sich wie ein Buch.
Beim Anblick dieser und der noch immer anhaltenden beklemmenden Stille überall bekommt man kurz mal Gänsehaut.
Ein schauriger Ort.
Flucht von Alcatraz
Eine Flucht war schier unmöglich – dieser Ruf eilte Alcatraz voraus.
Wer fliehen wollte, hatte Pech: Alcatraz galt als ausbruchssicher. Das Wasser rund um die Insel war eiskalt und es gab starke Strömungen.
Zudem tat die Geschichte von weissen Haien, die man den Insassen erzählte, ihr Übriges.
Trotzdem versuchten ein paar Gefangene zu entkommen – und bezahlten wahrscheinlich mit ihrem Leben.
Denn die Gefangenen, denen eine Flucht ins Freie gelang, erwarteten steile Klippen und das tosende Meer.
Bis heute ist nicht belegt, ob es jemals einem Gefängnisinsassen gelang, lebend und wohlbehalten die Insel zu verlassen.
Leben wir also alle mit der Legende über ‚The Rock‘, die Felseninsel.
Faszination bis heute
Alcatraz fasziniert die Öffentlichkeit bis heute.
Es gibt viele grausame Geschichten über die Zustände in „The Rock“ und die gefilterten Informationen von damals trugen zum erbarmungslosen Ruf des Hochsicherheitsgefängnisses bei.
Heute ist Alcatraz ein Touristenmagnet wie das Colosseum oder Disneyland.
Viele der Millionen Besucher beschäftigt vor allem eins: ob der legendäre Ausbruchsversuch von 1962 vielleicht doch erfolgreich war.
Damals gelang es drei Insassen mit Hilfe eines aus Regenmänteln gebauten Schlauchboots zu fliehen. Sie seien im eisigen Wasser ertrunken, hiess es offiziell.
Doch unlängst tauchte ein Brief eines der drei Geflohenen auf, welchen Experten für authentisch halten.
Wer weiss, was wirklich geschah.
Alcatraz hat wohl viele Seelen erbarmungslos verschlungen und irgendwann wieder ausgespuckt, tot oder lebendig.
Das Ende des Supergefängnisses
Zum Ende von Alcatraz 1963 führten letztendlich das marode Bauwerk. Alcatraz zerfiel zu einer Ruine.
Das Salzwasser, mit dem die Toiletten betrieben wurden, machte zusammen mit der salzhaltigen Luft aus dem einstigen Superknast ein Relikt im Zerfallzustand.
Alcatraz wurde schliesslich geschlossen und mit ihm die Torturen der Vergangenheit.
Erst Jahre später öffnete es seine Pforten für Schaulustige und Interessierte und bot einen Anblick an unvergleichbarer Trostlosigkeit, an deren Überreste heute nur noch Möwen und Pelikane picken.
Meine Freilassung
Alcatraz zu besichtigen und seine Geschichte ein Stück mitzuerleben ist etwas Einzigartiges – besonders zu Zeiten von Social Media & Co., welches hochgradig vergänglich, oberflächlich und schonungslos langweilig sein kann.
Genau aus diesem Grund musste ich dort hin. Ich wollte echte Geschichte erleben, auf Pfaden der Vergangenheit wandern und diese Art Erinnerungen atmen.
Ich wollte wissen, was Alcatraz, ‚Devils-Island, ‚The Rock‘ so spannend und faszinierend machte.
Alcatraz ist was für all diejenigen, die auf Disneyland pfeifen und für einen Augenblick Teil einer unglaublichen Reise in vergangene Tage sein wollen.
Die Besichtigung von Alcatraz bewegt und hinterlässt anschliessend einen fahlen Beigeschmack von Wehmut.
Zu beklemmend, trostlos und mysteriös ist dieser Ort.
In diesem Sinne:
Flieg, kleiner Pelikan.
7 KOMMENTARE
Best ever. Wow, packend und unglaublich spannend. So geschrieben, dass ich mich vor Ort fühlte!
Oh danke, Liebes. Das Freut mich. Schönen Sonntag dir. Anna
Super Bericht über Alcatraz! Grossartig geschrieben 🙂
Danke Valon, für das nette Kompliment. Sowas freut mich immer am meisten. Schöne Woche Dir. Anna
Sehr gut geschrieben, ich bin immer erfreut, selbst wenn du eine Gebrauchsanweisung schreiben würdest, wäre sie interessant.
Dein Bericht fühlt sich super authentisch an, ich konnte die Stille und Trostlosigkeit fast spüren. Hab mich gleich fester in meine Decke eingekuschelt 🙂
Danke für die großartigen Zeilen!!
Du bist so süss. Danke dir <3