Da dachte ich, im Jahre 2020 gäbe es fliegende Autos aber nein, stattdessen bringt man uns das Händewaschen bei. Wer hätte das gedacht. Und da wir dies über Monate fleissig geübt haben, konnte es Anfang Juli endlich wieder losgehen, als viele Länder den Lockdown aufgehoben und sich als reisetauglich erklärt haben.
Keine 24 Stunden nach der offiziellen Reiseerlaubnis stand ich also am Flughafen und wedelte mit meinem Ticket. Ich war so aufgeregt, dass ich am liebsten Groupie-like am Zürcher Airport schon die Nacht zuvor dort gecampt hätte.
Nach nunmehr 20 Flügen in diverse europäische Länder ziehe ich Bilanz: Reisen nach dem Lockdown scheint vielleicht etwas komplizierter, gar administrativer geworden zu sein aber am Ende ist alles halb so abenteuerlich, wie uns diverse Presseberichte glauben machen wollen.
Hier also mein kleines Reisetagebuch an verblüffenden und manchmal unsinnigen Erfahrungen und jene, die zum Glück einer alten, herkömmlichen Normalität entsprechen.
Am Flughafen: Hallo, Echo!
Auf die Vorfreude auf meinen ersten Flug kam die Ernüchterung unmittelbar. Der Flughafen war Anfang Juli grau, leer, und leblos. Die meisten Shops hatten geschlossen, Promostände waren abmontiert und die Swisslounge gänzlich vereinsamt.
Halb leere Abflugtafeln, kaum Passagierpublikum und nur eine Handvoll Flieger verwandelten den Flughafen Zürich in eine kleine Geisterstadt.
Plakate mit Verhaltensregeln, Fussbodenmarkierungen, Desinfektionsmittel und Schutzmassnahmen, welche unaufhörlich durch den Lautsprecher gepfiffen wurden, versuchten vergeblich über die vorherrschende Tristesse am Airport hinwegzutäuschen.
Irgendwie genoss ich jedoch dieses verschlafene Post-Lockdown-Treiben ohne Hektik und Menschentrubel. In 2 Minuten ging es geräuschlos durch den Security-Check, zaghaft vorbei am Zeitungsstand und stressfrei zu den Boardinggates. Als sei die Reisewelt gerade von einer monatelangen Narkose erwacht und übt sich noch in quälender Motorik.
Diese anfängliche Behäbigkeit ist mittlerweile etwas verflogen. Über die Monate hinweg fingen Terminals und Flieger wieder an sich zu füllen und lockten immer mehr Passagierpublikum aus ihren Löchern, wie Mäuse die den Käse wittern.
Beim Boarding: Social-Un-Distancing!
Social Distancing ist das neue „Zisch ab“! Und damit es auch niemand vergisst, werden 20 Minuten vor dem Einsteigeprozedere im Minutentakt diese und weitere neue Boardingregeln ins Mikrofon geflötet: Maske aufsetzen, Bodenmarkierungen beachten, zügig einsteigen, während des gesamten Fluges Maske tragen.
Kurzbriefing fürs Fliegen 2.0.
Der Mindestabstand von 2 Armlängen versteht sich auch beim Einsteigen von selbst. Machte das nette Bodenpersonal doch unaufhörlich darauf aufmerksam. Wie strenge Lehrer zu ihren Schülern kurz vor Beginn der Klassenfahrt. Vielleicht sollte ich mein Handgepäck mit einem Zollstock ausrüsten, nur um künftig fachgerecht nachmessen zu können.
Erlaubnis zum Einsteigen erteilt und dann folgte das, was vor dem Lockdown wohl niemand für möglich gehalten hätte. Wie auf Knopfdruck schnallte sich natürlich jeder seinen Fratzenschlüpfer über Mund und Nase und drängelte Richtung Boardingautomat. Die Leute waren nach über 3 Monaten Lockdown spürbar hungrig aufs Reisen und verhielten sich wie gefrässige Löwen vor der Raubtierfütterung.
Da wurde geschubst, gedrängelt und ge-social-un-distanced was das Zeug hielt. Wie in alten Zeiten, dachte ich mir. Herrlich! Es gab sie also doch noch, die ganz normalen Menschen da draussen.
Mal ehrlich! Es grenzt auch fast an Albernheit, vor dem Gate 2 Meter Abstand halten zu müssen, um nachher im Flieger stundenlang so dicht zum Nachbarn zu sitzen, dass man ihm die Augenbrauen zupfen könnte! Und zwar ohne Vergrösserungsspiegel.
Aber Hauptsache wir haben uns alle gründlich die Hände gewaschen!
An Board: Masken-verballert!
Nachdem man sich schliesslich vom Hintermann auf seinen Platz hat schubsen lassen und der Gurt geschlossen ist, fängt die Durchsagenflut erneut an. Es hageln die üblichen Floskeln of the Year 2020: Protection, Safety, Virus, Mask, Desinfection, Covid19. Ich kann’s mittlerweile nicht mehr hören.
Bei den meisten Airlines herrscht Maskenpflicht an Board, was auf Mittelstrecke gerade so erträglich ist.
Dieser Lappen am Gummiband hat aber durchaus noch etwas Praktisches, wie ich feststellte. Auf Morgenflügen kann man ruhig mal verknittert aussehen, ohne dass jeder einem das ganze Ausmass an morgendlicher Knautschigkeit sofort ansieht. Beim Gang zur Boardtoilette bleibt der Blick in schlafende, offen stehende Münder erspart und gemeine Gerüche der Sitznachbarn werden etwas gefiltert.
Obwohl, frische Luft sollte an Board der Lufhansa-Gruppe kein Thema mehr sein, hört man die Edelweiss und Swiss stolz mit ihrer neuesten Errungenschaft prahlen: eine Frischluftanlage, die das Ansteckungsrisiko an Board unwahrscheinlich macht. Aha.
Eine Frischluftanlage in einer luftdicht verschlossenen Blechdose? A) wer hat die denn so plötzlich erfunden und eingebaut und b) wie darf man sich das vorstellen? Reden wir von hinten Fenster auf, vorne Fenster auf und dann Durchzug? Oder befinden sich unzählige Frischluftballons im Stauraum des Flugzeugs, die halbstündig abgelassen werden? Wer weiss.
Um ehrlich zu sein, hab’ ich mir das stundenlange Tragen einer Maske während eines Fluges deutlich schlimmer vorgestellt. Man gewöhnt sich tatsächlich schnell daran und die Zeitspanne ist absehbar. Und keine Sorge, sollte die Maske mal verrutschen oder falsch platziert sein, zum Beispiel unterm Kinn, die wachsame Crew korrigiert und ermahnt in gehorsamer Hilfsbereitschaft!
Klassenfahrt-Feeling bis zur Landung!
Über den Wolken: Operation Brotbüchse!
Die neuen Regeln der Lufthansa Gruppe besagen, dass unter einer Flugstunde kein Boardservice angeboten wird, ab 2 Stunden nur Snacks & Getränke und ab 3 Stunden gibt’s etwas, was man tatsächlich Essen nennen könnte.
Hygiene-PR oder Sparmassnahme? Wahrscheinlich von beidem ein bisschen.
Aber keine Sorge, in der Business wird man weiterhin mit den üblich befüllten Tellerchen bewirtet und auch in der Eco muss niemand hungern.
Jedoch sorgt der bewusste Fluggast von heute scheinbar selbst für seinen Picknickkorb über den Wolken. Mit dem Erreichen der Flughöhe und dem Gong zum Abschnallen, packten 5B und 5C neben mir doch tatsächlich ihre monströsen Salamibrote aus. Auch drumherum sah ich aufgeklappte Brotbüchsen und hörte Alufolie rascheln. Um Gottes Willen, ich war von Reise-Strebern umgeben.
Ja, auch das gehört wohl zur neuen Reisenormalität: Brote schmieren before Check-in.
Während ich also an meinem trostlosen Wasser nippte, kam ich zur Erkenntnis: Der Mund-Nasenschutz absorbiert angeblich Tröpfchen und was weiss ich noch, aber mit Sicherheit schützt er nicht vor Salami-Mief.
Und bei gerümpfter Nase hoffte ich natürlich vergebens, dass die Frischluftanlage bitte schnell ihren verdammten Job machte.
Vor der Landung: Hausaufgaben in Reihe 5!
Der neue Zeitvertreib auf 11’000 Meter Höhe – Papierkram erledigen. Und dabei ist nicht die Rede von inspirierender Lektüre in Form von den üblichen Reisemagazinen im Rücksitz des Vordermanns. Nein, die gibt es nicht mehr, denn Safety & Sparfuchs first!
Bei der Einreise nach Spanien, Italien, der Schweiz, Deutschland und Frankreich galt es, ein Formular für die örtlichen Behörden auszufüllen, mit Fragen zur Zieldestination, Krankheitserscheinungen und Aufenthaltsorte der vergangenen Wochen.
Für Griechenland muss sich jeder 48 Stunden vor Abflug online registrieren, um dann einen QR Code zu erhalten, der bei Ankunft vorgezeigt wird.
Diese Zettelwirtschaft ist eigentlich nichts Ungewöhnliches, wenn man schon mal in die USA, nach Mexiko oder asiatische Länder gereist ist. Nur wird jetzt nicht mehr nach einem vermeintlichen Gangsterprofil wie Waffenbesitz, Schmuggel oder Verhaftungen gefragt, sondern nach Husten, Schnupfen und Fiebersymptome.
Vorbei ist also das kleine Schlummerschläfchen vor der Landung. Nein, heute hängen alle Schüler der Klasse A320 Kopfüber gebeugt über ihre Tracking-Hausaufgaben und kritzeln wie wild ihr Privates auf’s weisse Zettelchen.
Energisch streift das Flugpersonal anschliessend durch die Gänge und sammelt alle wieder ein, kurz bevor die Räder die Piste berühren.
Und ich frage mich ernsthaft, was aus den guten alten (elektronischen!!) Passagierlisten geworden ist.
Bei Ankunft: Beifall für den Unsinn!
Mehrfach auf meinen Flügen ergoss sich das reisende Publikum in tosendem Applaus, sobald der Flieger mit einem Ruck zur Landung aufsetzte. Seit wann ist Klatschen eigentlich wieder in?
Die freundliche Geste der Passagiere wurde jäh im Keim erstickt, als die nächsten Anweisungen durch den Äther flossen. Auch das De-Boarding muss seine Ordnung haben: stillgesessen, angetreten, abmarschiert!
Ausgestiegen wird in Gruppen, wenn nach und nach die Reihen aufgerufen werden und man die Erlaubnis hat, sich von seinem Sitzplatz zu erheben, seine 7 Sachen zu schnappen und wortlos gen Ausgang zu schlendern.
Was soll denn dieser Quatsch schon wieder? Haben wir uns nicht über Stunden in der engen Kabine frei bewegen können und werden gleich nach dem Verlassen des Flugzeugs zusammengepfercht im Bus zum Ankunftsterminal tuckern?
Aber hey, was soll’s! Wer kann bei diesen ganzen Massnahmen überhaupt noch logisch denken und sinnvoll handeln. Einfach Maske auf, Kläppchen zu und gehorchen wie damals in der 6B.
Am Terminal: Neues aus Gesundheitshausen!
Beim Betreten des Flughafenterminals heisst es dann Schlange stehen, QR-Code zeigen, Temperatur messen oder sich beim vermummten medizinischen Personal hinter Trennwänden einem Corona-Test unterziehen.
Allerdings sieht man dies nicht überall. Wo man an den Flughäfen Berlin und Zürich weit und breit auf kaum Ordnungspersonal trifft ( Schmuggler und Kleinkriminelle, welcome!), wird in anderen Ländern medizinisch aufgetischt, was das jeweilige Gesundheitsbudget so hergibt.
In Griechenland zB. wartet ein kleines Corona-Testzentrum für ausgewählte Passagiere, wie Familien oder Betagte, in Spanien und Italien wird man mit riesigen Infrarot-Scannern empfangen und auf Madeira muss sich schliesslich jeder, wirklich jeder Ankömmling am Flughafen einem Test unterziehen, sofern man keinen eigenen dabei hat (so wie ich).
Gehört man zu den ‚Auserwählten‘, die getestet wurden, kann man gemütlich in seinem Hotel einchecken und erhält das Testergebnis am nächsten Tag. Und jetzt kommt’s: in den meisten Ländern unterliegt man nach einem Test am Flughafen jedoch keiner Quarantänepflicht im Hotel, wie mir nach neugierigen Fragen mehrmals bestätigt wurde. Aha.
Nun ja, bei sinnvollen Schutzmassnahmen gehen Logik und Konsequenz eben nicht unbedingt Hand in Hand.
Applaus für ein bisschen Unsinn der neuen Reisenormalität.
Lock down, zisch up!
Man sagt, der Mensch braucht durchschnittlich 30 Tage, um sich an neue Situationen zu gewöhnen. Mag sein. Auch ich bin schon längst ‚per Du‘ mit Mini-Flugplänen in Europa, Brotbüchsencharme und Maskerade an Board, sowie mit Scannern, Wattestäbchen und Zettelkram am Flughafen.
Solang es also Länder gibt, die nicht auf der Risikoliste mit Quarantäne-Pflicht stehen, mache ich Europa weiter unsicher – zumindest die paar Reisekrümelchen, die jetzt noch übrig sind. Wer weiss, nach dem Lockdown ist womöglich vor dem Lockdown. Aber bis dahin werde ich eifrig Koffer packen, mir Brotbüchse und Zollstock besorgen und lernen, wie man auf Bodenmarkierungen auf einem Bein steht.
Anna
4 KOMMENTARE
????????????????
…musste selbst lachen, beim Verfassen…
Fratzenschlüpfer?!??!!
Großartig! ????????
Was zum Lachen…heimlich unter der Maske. :-*