Was? Es gibt kein Roaming, WLAN und somit kein Internet auf Kuba? Als ich das hörte, strich ich Havanna gleich wieder von meiner Reiseliste.
Entschuldigung, aber mein digitales Timeout wollte ich garantiert nicht auf einer gebeutelten Zuckerinsel in der Karibik verbringen.
Warum auch? War ich doch jahrelang medial gebrainwashed worden – Kuba war böse, unbeliebt und jetzt hatten die noch nicht mal Internet?
Und dennoch verlor ich Havanna, die kleine zerfallene bunte Stadt, irgendwie nie aus den Augen.
Als ich schliesslich vor geraumer Zeit las, dass sich die Hauptstadt Kubas peu à peu aufhübscht und sogar ein nagelneues Kempinski eröffnet hatte, änderte ich meine Meinung.
Das Gran Hotel Manzana hatte sogar Wifi.
Bestens! Mein Havanna-Trip war gerettet!
Bien venidos a La Habana
Was auch immer meine Erwartungen an das Paralleluniversum waren, die Ankunft am José Martí, dem gleichen Flughafen, von dem aus die Mittel- und Oberschicht Kubas nach der Revolution nach Florida floh, war am Ende überaus ernüchternd.
Wir landeten nachts – also gab es keinerlei Vorgeschmack aus der Vogelperspektive auf die unbekannte Insel.
Der Flughafen Havannas ist trist, klein und spartanisch – beleuchtet von metallisch weissem Licht, welches an irgendeiner Ecke unter lautem Zurren unentwegt zuckte.
Meine roten Jetlag Augen machten sich bemerkbar und ich fragte mich, auf was ich mich da nur eingelassen hatte.
Hallo, Ostblock-Nostalgie! Wollte ich das?
Am Flughafenausgang buhlten Taxifahrer lautstark um die Gunst der ankommenden Touristen – ich hatte die Wahl.
Wifi und 4G funktionierte natürlich nicht (fing ja schon mal super an hier) und so stieg ich gleichgültig in irgendein Taxi und liess mich ohne Taxameter auf ein finanzielles Abenteuer ein.
Die Fahrt trug mich durch den Schleier der Nacht, entlang dunkler Strassen, von welchen aus ich die zerfallene, trostlose Kulisse dieser kontroversen Stadt ausmachen konnte.
Am nächsten Morgen, in meinem Hotel der Extraklasse, hatte ich Ausblick, Wifi und einen der besten Kaffees (übrigens keine Massenware auf Kuba), den ich seit langem serviert bekam – einen Cortadito mit Crèma.
Ich war angekommen auf Kuba und erwachte gemeinsam mit der Stadt.
Bunte Zeitreise mit morbidem Charme
Wenn man Kubas schwüle, spanische Kolonialhauptstadt besucht, ist das wie eine Zeitreise in die Vergangenheit, in der eine appetitlichere Version vom Heute gerade erst angekommen zu sein scheint.
Hinter den zerfallenen Kolonialfassaden verbergen sich Boutique Hotels und Cocktailbars, sowie ein neues Mass an Luxus, das diese magische Stadt scheinbar noch nicht ganz willkommen geheissen hat.
Internationale Modelabels und Fünf Sterne Hotels halten Einzug, um es auch dem anspruchsvolleren Reisenden elitär gemütlich zu machen.
Das ist aber nicht das Havanna, welches man auf Bildern sieht.
In dem Moment, in dem man die farbenfrohe karibische Insel betritt, reist man in der Zeit zurück. Es ist, als wären die letzten fünfzig Jahre auf diesem Planeten auf Havanna verloren gegangen.
Es ist ein Ort, an dem Menschen noch nie ein iPhone gesehen haben, wo die koloniale Architektur unberührt ist und Musik noch auf echten Instrumenten gemacht wird.
Kubas verführerisches und exotisches Gefühl der Zeitlosigkeit zieht einen unweigerlich in seinen Bann und dies bereits nach einem kurzen Spaziergang in der Altstadt.
Schnell stellte ich fest: alles ist anders hier. Die Kommunikation, Einkaufen gehen (hier gibts praktisch „nichts“), Bezahlung, Fortbewegung.
Einfach alles ist anders.
Man muss sich darauf einlassen und mal kurz im Damals weilen, um Neues zu entdecken.
Dies gelang mir mühelos, denn der Tanz durch die Strassen Havannas wird begleitet vom morbiden Charme der Stadt, der beflügelt.
Havanna Unplugged
WLAN ist in Havanna, und sicher auf ganz Kuba, immer noch eine Neuheit und daher bisweilen schwer zugänglich oder unzuverlässig. Roaming funktioniert gleich gar nicht.
An diversen Orten kann man Internet Karten kaufen, welche zeitlich begrenzt einsetzbar sind.
Man zahlt eine volle Stunde, die möglicherweise nach wenigen Minuten unterbrochen wird.
Ein komisches Gefühl, unfreiwillig in eine digitale Auszeit katapultiert zu werden.
Wie (über-) leben die Kubaner das nur auf Dauer?
Und dann machte ich eine für mich beeindruckende Entdeckung – die Menschen reden, tanzen und lachen miteinander. So einfach!
Es fiel mir erst richtig auf, als ich im La Guarida zum Essen sass.
Das Restaurant war voll besetzt und in der Luft hing der Duft von Limetten und eine ansteckend heitere Stimmung.
Kein Handy auf den Tischen weit und breit, die Menschen redeten miteinander, sahen sich an und tauschten befüllte Gabeln aus.
Und dann plötzlich: sobald der erste Beat aus dem Ghetto-Blaster, wahrscheinlich einer von 1963, ertönte, sprangen einige Gäste auf und legten einen Salsa-Schwung hin.
Mitten im Restaurant, neben halb vollen Rumgläsern, Blue-Marlin-Tacos und kubanischem Puddingbrot.
Ich war erstaunt, wie mich diese Situation verblüffte. Die Schönheit des Zusammenseins in seiner einfachsten Form.
Das war der Augenblick, als ich mich in Havanna verliebte.
Banal, ich weiss. Aber wo erfährt man heutzutage noch, was es heisst, wirklich offline zu sein, abzuschalten und Menschen vor Optimismus einfach mal tanzen zu sehen?
Vielleicht auf Laos?
HAVANNAS ALTSTADT UND DIE AUTOS
Am besten übernachtet man in der Altstadt von Havanna, im Dunstkreis vom Kapitol und der Plaza Vieja, in der Nähe beliebter Cafés und Bars. Von hier aus erkundet man die schönsten Ecken der Stadt am einfachsten.
Ob zu Fuss durch die belebten Strassen, vorbei an verspielten Gassen und anmutenden Hinterhöfen oder in einem der berühmten nostalgischen Fahrzeuge, die man von Fotos kennt.
Die Strassen Havannas sind mit alten Ford Fairlanes und Chevy Bel-Airs überfüllt.
Die Einheimischen haben unglaubliche Anstrengungen unternommen, um diese Fahrzeuge zu warten und zu restaurieren, da das Land seit dem Embargo für den Import von Autos und Autoteilen gesperrt wurde.
Und es wäre kein waschechter Kuba-Urlaub, wenn man kein altes Chevy-Taxi aus den 50er-Jahren fahren würde.
Schon fast lächerlich touristisch aber auf keinen Fall zu verpassen.
Von Rum, Salsa und Gaumenfreuden
Limettensaft, Zucker und weisser Rum – auch bekannt als Daiquiri, der klassische Cocktail, der erstmalig in Havanna gemischt wurde. Aber von wem und wo genau, wer weiss das schon?
El Floridita
Die Geschichte des Daiquiris ist so dunstig wie es Ernest Hemingway sicherlich war, als er 16 davon in seiner berühmten Ecke im El Floridita trank.
Das Ambiente im El Floridita ist einzigartig. Daiquiris werden seit 70 Jahren nach einem geheimen Rezept hergestellt und zieht vor allem Touristen an.
Eine Life-Band spielt spanische Rhythmen im Akkord und sorgt dafür, dass man einen Drink nach dem anderen bestellt.
Die Bar ist immer noch einer der unterhaltsamsten Orte, um den kubanischen Cocktail zu probieren, serviert von einem Barkeeper der seit 15 Jahren hinter der Bar steht und Geschichten aus einer anderen Zeit erzählt.
Wer braucht WLAN, Google & Co, wenn man Daiquiri trinkend Salsa tanzen kann?
La Bodeguita del Medio
Nach einem romantischen Spaziergang durch die Gassen Havannas findet man sich in einem baufälligen Wohnviertel aus dem 19. Jahrhundert wieder, mitten im Centro Habana.
Dort, in einer engen Seitenstrasse, liegt das La Bodeguita del Medio.
Man versteht schnell, warum es Hemingway einst hierher verschlagen hat: die gedämpfte, authentische Atmosphäre dieser Bar ist was Besonderes.
Das La Bodeguita ist bekannt für Live-Musik und feurige Mojitos, die sogar das wartende Publikum auf der Strasse vor der Bar unterhalten.
Havanna findet eben draussen statt. Einfach ein lebendiges Erlebnis, im La Bodeguita einen Drink zu ordern, oder 6!
La Guarida
Kubas Küche hat nicht gerade den besten Ruf, aber es ist nicht unmöglich, in nostalgischem Ambiente grossartiges Essen zu bekommen.
Ich hab’s eh nicht so mit Restaurants – für mich muss das Drumherum stimmen, wie Dekor, Ausblick und die Location.
Das wahrscheinlich berühmteste Paladar Havannas, das La Guarida Restaurant, befindet sich in einem alten, heruntergekommenen, obgleich majestätischen Gebäude aus der Kolonialzeit.
Zunächst fragt man sich, ob man an der falschen Adresse abgesetzt wurde, wenn man an diesem verwelkten Mehrfamilienhaus ankommt, in welchem der preisgekrönte kubanische Film ‚Fresa y Chocolate‘ gedreht wurde.
Auch wenn man nichts essen will – schon allein wegen dem Gebäude muss man hier vorbei schlendern.
Gerichte wie mit Kokos glasierter Zuckerrohr-Thunfisch oder Blue-Marlin-Tacos mit gegrilltem Gemüse werden in einem der drei intimen, stimmungsvoll beleuchteten Speisesälen oder auf der atemberaubenden Terrasse serviert.
Es ist nicht ganz easy, hier einen Tisch zu bekommen und die Preise auf der Menükarte sind auch nicht gerade günstig.
Aber man zahlt für die interessante Atmosphäre und die beeindruckende Geschichte.
Es fühlt sich so an, als würde man in einem internationalen Spionagefilm aus den 50ern mitspielen!
Wenn es ein Lokal in Havanna zu empfehlen gäbe, dann wäre es das La Guarida!
Havanna, eine Stadt zum Nachdenken
Havanna lebt, es ist echt und schier irrational.
Es ist ein Ort der Paradoxien: zum einen hat man Ehrfurcht vor Havannas Geschichte und Schönheit und dann ist man wiederum etwas entmutigt, dass die Fassaden der spanischen Kolonialhäuser und somit eine ganze Stadt schlichtweg zerfallen.
Diese Ruinen lösen eine Flut von Emotionen aus. Unweigerlich!
Historisch schön, erbarmungslos nutzlos!
Das Kuba der Reisebroschüren schwankt zwischen Palmen, funkelnden alten Autos, lebhaften Strassenmusikern, Frauen in Rüschenkleidern und bunten Hüten.
Das ist aber nicht das Havanna hinter den Kulissen. Havanna kann kompliziert sein und verwirren.
Alt mischt sich mit Neu, Gestriges wehrt sich noch gegen Aktuelles und so langsam hält der westliche Standard Einzug, während überall Farbe von den Wänden blättert.
Die Menschen wirken intellektuell, kultiviert und leidenschaftlich, ohne Grenzen für ihre Grosszügigkeit und ihren Optimismus.
Dennoch spürt man einen unausgesprochenen Unmut gegenüber der Regierung und gleichzeitig wieder Dankbarkeit.
Havanna ist widersprüchlich und dann wieder logisch.
Und mitten drin fragte ich mich, ob es politisch korrekt sei, einen Cuba Libre zu bestellen, ein Getränk mit einem Namen, der einst geopolitische Diskussionen hervorrief.
Je länger ich herumlief, je mehr ich sah und lernte, desto mehr Fragen hatte ich.
Ich entschied, dass Havanna einfach eine einzigartige Wirkung auf mich hat, die sie zu einer fantastischen, interessanten Stadt machte.
Havanna erfüllt schlichtweg den Zweck des Reisens auf die perfekteste Weise.
Das ist wohl die authentischste Stadt – real, voller Temperament und Leidenschaft.
Bekennend zur Tradition und Nostalgie, und gleichwohl dürstend nach Veränderung im Morgengrauen.
So wie ich – ich konnte es nicht erwarten Stunden später dass 4G – Zeichen auf meinem iPhone wieder aufblinken zu sehen.
ANNA aus Havanna